Zusammenfassung des Urteils AHV 2011/6: Versicherungsgericht
Die Firma A. wurde von der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen zur Nachzahlung von Beiträgen und Verzugszinsen aufgefordert, da sie Mitarbeiterinnen nicht korrekt angemeldet hatte. Die Beschwerde der Firma gegen diesen Entscheid wurde abgewiesen, da die Mitarbeiterinnen in der Schweiz versichert sein müssen, da sie dort gearbeitet haben. Es wurde festgestellt, dass die Frauen während ihrer Arbeit in der Schweiz nicht in ihrem Heimatland sozialversichert waren. Die Beschwerde wurde abgelehnt und es wurden keine Gerichtskosten erhoben.
Kanton: | SG |
Fallnummer: | AHV 2011/6 |
Instanz: | Versicherungsgericht |
Abteilung: | AHV - Alters- und Hinterlassenenversicherung |
Datum: | 22.06.2012 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Entscheid Art. 1a Abs. 1 lit. b und Art. 12 Abs. 1 AHVG. Art. 13. Abs. 2 lit. a Vo 1408/71. AHV-Beitragspflicht. In der Schweiz beschäftigte "Hostessen im Erotikgewerbe" sind grundsätzlich am Beschäftigungsort (Schweiz) sozialversichert. Die von der Beschwerdeführerin geltend gemachte Beschäftigung in weiteren Mitgliedstaaten, die eine Versicherungsunterstellung am Wohnort (Ungarn, Slowakei, Rumänien) zur Folge hätte, ist nicht dargetan (Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 22. Juni 2012, AHV 2011/6).Präsidentin Lisbeth Mattle Frei, Versicherungsrichterin Marie Löhrer, a.o. Versicherungsrichter Christian Zingg; Gerichtsschreiber Jürg SchutzbachEntscheid vom 22. Juni 2012in SachenA. ,Beschwerdeführerin,vertreten durch Rechtsanwalt Josef Ulrich, Advokatur & Notariat, Winkelriedstrasse 23, |
Schlagwörter: | Arbeit; Schweiz; Sozialversicherung; Sozialversicherungsanstalt; Gebiet; Arbeitgeber; Person; Arbeitnehmerin; Recht; Gallen; Mitarbeiter; Verzugszins; Arbeitnehmerinnen; Erwerbstätigkeit; Frauen; Wohnsitz; Erwerbsort; Kantons; Mitarbeiterinnen; Lohnsumme; Versicherungspflicht; Höhe; Personen; Heimatland; Ungarn; Mitgliedstaats; Wohnort |
Rechtsnorm: | Art. 12 AHVG ;Art. 5 AHVG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
A.
Die A. ist seit dem 11. Februar 2008 im Handelsregister eingetragen. Sie
bezweckt die Führung von Freizeit- und Vergnügungsbetrieben (act. G 12.1/1). Am
3. März 2008 meldete sich die Firma mit Fragebogen 3 zur Abklärung der AHV- Beitragspflicht bei der Sozialversicherungsanstalt des Kantons St. Gallen, Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, an. Dabei gab sie an, sie beschäftige Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen mit einer Lohnsumme von Fr. 15'000.-- pro Monat (act. G 12.1/4.1 f.). Am 2. Februar 2009 reichte die A. die Jahresabrechnung 2008 ein. Darin vermerkte sie eine Lohnsumme von Fr. 151'676.--. Aufgeführt waren sieben Mitarbeitende (act. G 12.1/15.1). Am 19. Februar 2009 stellte die
Sozialversicherungsanstalt der Firma die entsprechenden Lohnbeiträge (AHV/IV/EO, FAK, AlV [inkl. Verwaltungskosten und Verzugszins]) über Fr. 21'570.30 in Rechnung (act. G 12.1/15.3). Am 4. Februar 2010 reichte die A. sodann die Jahresabrechnung 2009 ein. Dabei gab sie sechs Mitarbeitende mit einer Lohnsumme von Fr. 147'280.-- an (act. G 12.1/26.1).
Auf Druck des Amtes für Wirtschaft, Abteilung Ausländer/Gewerbe, meldete die
A. am 12. Juli 2010 rund zwei Dutzend Arbeitnehmerinnen (Hostessen im Erotikgewerbe) bei der Sozialversicherungsanstalt an. In ihrem Begleitschreiben führte sie dazu aus, gemäss Wegleitung über die Versicherungspflicht (WVP) unterlägen Staatsangehörige der EU, die gewöhnlich in zwei mehreren Staaten eine Erwerbstätigkeit ausübten, in der Regel den Rechtsvorschriften ihres Wohnsitzstaates, sofern sie einen Teil ihrer Erwerbstätigkeit in diesem ausübten. Somit unterlägen die Quellensteuerpflichtigen gar nicht der Versicherungspflicht in der Schweiz, selbst wenn diese eine unselbstständige Erwerbstätigkeit ausüben würden (act. G 12.1/29.6 f.). Die Sozialversicherungsanstalt führte in der Folge am 26. August 2010 bei der Arbeitgeberin eine Kontrolle betreffend die Beitragsjahre 2008 und 2009 durch. Dabei ergaben sich für die beiden kontrollierten Jahre nicht abgerechnete Lohnsummen in Höhe von Fr. 137'215.-- bzw. Fr. 135'525.--, wobei jeweils die Löhne von knapp 30 Mitarbeiterinnen nacherfasst wurden (act. G 12.1/30).
Mit Nachzahlungsverfügungen vom 16. November 2010 forderte die Sozialversicherungsanstalt von der Arbeitgeberin für das Jahr 2008 Lohnbeiträge in Höhe von Fr. 19'488.60 sowie von Fr. 19'248.65 für das Jahr 2009 (jeweils inkl. Verwaltungskosten [act. G 12.1/32.1 f.]). Mit Verzugszinsverfügungen vom 18. November 2010 forderte die Sozialversicherungsanstalt sodann Verzugszinsen in Höhe von Fr. 1'835.20 bzw. Fr. 850.15 (act. G 12.1/31). Die gegen diese vier Verfügungen erhobene Einsprache vom 13. Dezember 2010 wurde mit Entscheid vom 10. März 2011 abgewiesen (act. G 12.1/33 und 43).
B.
Gegen diesen Entscheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom 11. April
2011 mit dem Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Einspracheentscheids. Zur
Begründung wird ausgeführt, dass die Frauen jeweils während ihrer kurzfristigen Tätigkeit in der Schweiz keinen Wohnsitz begründen würden. Personen, die in der Schweiz aber keinen Wohnsitz hätten und die in einem mehreren Vertragsstaaten der EU erwerbstätig seien, seien unabhängig von ihrer Steuerpflicht in der Regel in der AHV nicht versichert. Entgegen der Ansicht der Beschwerdegegnerin deute nichts darauf hin, dass die Frauen in ihrem Heimatland Ungarn nicht sozialversichert seien. Zudem sei nicht einsichtig, weshalb die Arbeitgeberin verpflichtet sein soll, zu beweisen, dass die Arbeitnehmerinnen in ihrem Heimatland sozialversichert seien. Im Übrigen gingen die Frauen ihrer "speziellen" Arbeit nicht 360 Tage im Jahr nach, sondern nur eine begrenzte Zeit. Die restliche Zeit gingen sie üblicherweise einer anderen Tätigkeit in ihrem Heimatland nach. Weitere Ausführungen erfolgten trotz wiederholter Fristerstreckung nicht (act. G 1). Mit Eingabe vom 10. Oktober 2011 wies er zudem auf die Stellungnahme des Fachbereichs hin, wonach gemäss den bilateralen Einkommen die Arbeitnehmerinnen grundsätzlich in ihren Heimatländern zu versichern seien (act. G 12, G 37.1).
Mit Eingabe vom 15. September 2011 beantragt die Verwaltung Abweisung der Beschwerde unter Verzicht auf eine materielle Stellungnahme (act. G 10).
Erwägungen:
1.
Gemäss Art. 1a Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10) ist jede in der Schweiz ausgeübte Erwerbstätigkeit obligatorisch versichert und grundsätzlich beitragspflichtig. Als massgebender Lohn gilt jedes Entgelt für in unselbstständiger Stellung auf bestimmte unbestimmte Zeit geleistete Arbeit (Art. 5 Abs. 2 AHVG). Als Arbeitgeber gilt, wer obligatorisch versicherten Personen Arbeitsentgelte gemäss vorstehender Bestimmung ausrichtet (Art. 12 Abs. 1 AHVG).
Nach Art. 13 Abs. 2 lit. a der durch das Personenfreizügigkeitsabkommen (APF) seit 1. Juni 2002 auch für die Schweiz anwendbaren Verordnung EWG 1408/71 (Vo 1408/71 [seit 1. April 2012: Art. 11 Abs. 3 lit. a Vo 883/2004]; vgl. Anhang II Abschnitt A
APF) unterliegt eine Person, die im Gebiet eines Mitgliedstaats abhängig beschäftigt ist, den Rechtsvorschriften dieses Staates, und zwar auch dann, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats wohnt das Unternehmen, das sie beschäftigt, seinen Betriebssitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats hat (Erwerbsortprinzip). Eine Person, die gewöhnlich im Gebiet von zwei mehr Mitgliedstaaten abhängig beschäftigt ist, unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, wenn sie ihre Tätigkeit zum Teil im Gebiet dieses Staates ausübt wenn sie für mehrere Unternehmen tätig ist, die ihren Sitz im Gebiet verschiedener Mitgliedstaaten haben (Art. 14 Abs. 2 lit. b Ziff. i Vo 1408/71 [Wohnortprinzip]; seit 1. April 2012: Art. 13 Abs. 1 lit. a Vo 883/2004).
2.
Vorliegend ist unbestritten, dass die nacherfassten Arbeitnehmerinnen ungarischer, slowakischer und rumänischer Staatsangehörigkeit in den massgebenden Jahren in der Schweiz bei der Beschwerdeführerin gearbeitet haben (vgl. act. G 12.1/30.8 f. und 38.4 f.). Bezüglich der Höhe der nachbelasteten Beiträge und der Verzugszinsen werden denn auch keine Einwände vorgebracht. Im Weiteren ist unbestritten, dass für alle fraglichen Mitarbeiterinnen die Vo 1408/71 anwendbar ist. So trat die Personenfreizügigkeit mit Ungarn und der Slowakei per 1. Juli 2007, mit Rumänien per
1. Juni 2009 in Kraft, wobei die erste Rumänin offenbar am 6. 8. Juni 2009 eingereist ist (X. ; act. G 12.1/38.5 und 38.36; vgl. aber auch act. G 12.1/30.9, wonach diese Arbeitnehmerin gemäss Arbeitgeberkontrolle bereits ab Februar 2009 beschäftigt gewesen sein soll; die Frage kann aber offen gelassen werden, da vor Ausdehnung des Freizügigkeitsabkommens auf Rumänien mangels Staatsvertrags ohnehin die Unterstellung unter Schweizer Recht bestand). Mithin sind die fraglichen Mitarbeiterinnen sowohl nach nationalem als auch nach internationalem Recht grundsätzlich am Erwerbsort, also in der Schweiz, versichert.
Die Beschwerdeführerin macht nun sinngemäss geltend, es gelte ausnahmsweise das Wohnortprinzip, da die Arbeitnehmerinnen in der Schweiz keinen Wohnsitz begründen sondern wie Fahrende in verschiedenen Mitgliedsländern arbeiten würden. Sie beruft sich damit sinngemäss auf die Ausnahmebestimmung des oben zitierten Art. 14 Abs. 2 lit. b Ziff. i Vo 1408/71. Zwar ist durchaus denkbar, dass die betreffenden Frauen auch
noch in anderen Mitgliedsländern (bei anderen Arbeitgebern) gearbeitet haben. Die Beschwerdeführerin vermag jedoch nicht darzulegen, in welchen konkreten Staaten dies der Fall gewesen sein soll. Dies ergibt sich zudem weder aus den Akten noch besteht für das Gericht die Möglichkeit, dies zu ermitteln. Schliesslich liegen auch keine Bestätigungen der Wohnsitzstaaten bzw. Heimatländer vor, dass sich diese Staaten im Sinn von Art. 14 Abs. 2 lit. b Ziff. i (weiterhin) als zuständig erachten (Formular E 101 Ziff. 5). Mithin sind die für die ausnahmsweise Anwendung des Wohnortprinzips nötigen Voraussetzungen nicht dargetan. Nachdem die Beschwerdeführerin aus deren Vorliegen Rechte ableiten will, trägt sie die Folgen der Beweislosigkeit. Dies stellt denn auch keine Umkehr der Beweislast dar. Vielmehr bleibt es bei der ordentlichen Anknüpfung der Versicherungspflicht an den Erwerbsort. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin handelt es sich auch nicht um einen Anwendungsfall von Ziff. 1041 der Wegleitung des Bundesamtes für Sozialversicherung (WVP), da sich diese Bestimmung auf pauschalbesteuerte (nicht etwa quellenbesteuerte) ausländische Staatsangehörige bezieht, die in der Schweiz ohnehin keine Erwerbstätigkeit ausüben dürfen. Ebenso liegt kein Anwendungsfall von Ziff. 2020 WVP vor, da die Frauen ihre (bei der Beschwerdeführerin ausgeübte) Tätigkeit unbestrittenermassen nicht zum Teil an ihrem Wohnort (Heimatland) ausüben, sondern ausschliesslich in der Schweiz (vgl. auch Art. 14 Abs. 2 lit. b Ziff. i erster Satzteil Vo 1408/71).
Im Weiteren stehen der Unterstellung am Erwerbsort (Schweiz) auch die einschlägigen Staatsverträge mit den involvierten Ländern Ungarn und Slowakei nicht entgegen, die für die Versicherungspflicht jeweils ebenfalls an den Erwerbsort anknüpfen (jeweils Art. 6 der Abkommen zwischen der Schweiz und Ungarn bzw. der Slowakei über Soziale Sicherheit). Mit Rumänien existiert kein entsprechendes Staatsabkommen. Die Unterstellung sämtlicher in den Jahren 2008 und 2009 bei der Beschwerdeführerin beschäftigten Hostessen unter das schweizerische Beitragsstatut erweist sich damit als korrekt.
3.
3.1 Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Gerichtskosten sind keine
zu erheben (Art. 61 lit. a ATSG).
Demgemäss hat das Versicherungsgericht im Zirkulationsverfahren gemäss Art. 39 VRP entschieden:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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